Metamorphosen der
Synchronizität
Auszüge aus dem
Zufallstagebuch für den Monat Oktober 2003
Lieber „bears wisdom“ Leser!
Es hat sich seit dem Erscheinen der September-Ausgabe weder an meinen Intentionen noch am Inhalt oder der Form dieser Kolumne etwas geändert. Auch Zufälle gab es, wie immer, mehr als genug. Nur die Art und die Anzahl der Leser hat sich, wenn ich die e-mails, die ich im Oktober bekam, richtig interpretiere, verändert. Ich arbeite daher schon an einer Liste von FAQs. Auch ein Impressum für „bears wisdom“ und „foxtales“ dürfte notwendig sein, wissen wir, ist in Arbeit. Anfragen und Anregungen sind aber immer willkommen!
Aufgrund von Kapazitätsengpässen entfällt Editorial und Inhaltsangabe für diese Oktoberausgabe. Hier und jetzt statt dessen eine programmatische Ansage:
Der folgende Text besteht aus ausgewählten Skizzen. Es sind Beschreibungen von Beobachtungen synchronistischer Ereignisse, deren ich im Monat Oktober persönlich gewahr wurde. Oder die mir vermittels österreichischer und deutschsprachiger Massenmedien zukamen. Hinzugefügt sind an manchen Stellen Anmerkungen, die auf Informationen aus dem Monat November beruhen. Ziel der Anstrengung: Blinde Flecken der Gesellschaft, der Medien und – nicht zuletzt – auch des Beobachters selbst, ins Blickfeld zu rücken.
Publius Ovidius Naso möge mir verzeihen, dass ich mich des Titels seines großen und unsterblichen Werkes bediene, um meinen ungelenken und unfertigen Texten einen stützenden Rahmen zu geben.
Dank schulde ich natürlich nicht nur dem römischen Dichter. Sondern allen Personen, die sich vermittels Intention oder Fatum an jene Position begaben, an der sie nun von meinem Bleistift zur Kenntlichkeit gebracht wurden. Für Fehler, die mir unterlaufen sind, bitte ich um Nachsicht und Verzeihung. Berichtigungen nehme ich, wenn sachlich begründet, gerne in einer der nächsten Ausgaben dieser Kolumne vor.
Herzlichen Dank auch an all Jene, deren Texte, Bilder oder Stimmen ich – zum Teil ohne ausreichende Quellenangaben – zitiert und deren Veranstaltungen ich besucht habe. Eine Auflistung der Credits würde meine Möglichkeiten bei weitem übersteigen.
Geschrieben ist der Text für alle Fragenden, Suchenden und Irrenden. Wer jedoch bereits alle Weisheit verkostet hat, mag getrost von der Lektüre Abstand nehmen.
P.J., 30.11.2003
***
Donnerstag, 2.10. 2003
Abend. Parkring. Ich wundere mich: Dort, wo sich bis vor kurzem ein Autosalon befand, in dessen Schaufenster stets schöne, gebrauchte Sportwagen standen – zum Beispiel Jaguar, Aston Martin und Ferrari – macht sich gerade ein Büro breit. Ist der Autosalon pleite? Oder in die Vorstadt gezogen? Die Handwerker sind noch am arbeiten. Ich erkundige mich. Nein, Entwarnung: Nur für die Dauer der Viennale werden hier statt Autos Kinokarten verkauft. Film verdrängt temporär Autos. Ich bin zufällig Zeuge einer Metamorphose geworden.
Freitag, 3.10. 2003
Gunther Philipp ist tot. Er hieß eigentlich Gunther Plachetta. Und war nicht nur Filmschauspieler. Sondern auch erfolgreicher Schwimmer, promovierter Mediziner und Autorennfahrer.
Als Schwimmer und Mediziner habe ich Philipp nie erlebt. Als Filmkomiker oft und gern. Unvergesslich die Szene mit der Festnahme. Flucht ist angesichts der Übermacht der Gendarmen unmöglich, „Folgen sie mir unauffällig!“ daraufhin die energische und forsche Ansage. Watzlawick hätte diese Chupze „paradoxe Intervention“ genannt.
Als Rennfahrer wurde mir Gunther Philipp durch ein Foto zum Begriff: Drei Sportwagen sind darauf in einer Linkskurve zu sehen. Vorne und hinten zwei Abarths. In der Mitte ein Ferrari, in leichtem Drift. Bildunterschrift: „Rindt auf Abarth mit Startnummer 67 in Aspern, dahinter Dr. Gunther Philipp“.
Philipp war als Rennfahrer erfolgreich, gewann drei Staatsmeistertitel (1960, 62, 63). Und es war nicht nur einmal, dass er Rindt folgte: Als der starb, wurde Gunther Philipp beim „Motorama“, Österreichs erstem TV-Motormagazin, sein Nachfolger.
Philipp liebte schnelle Autos, besonders Ferrari: Er besaß u.a. einen Ferrari GTO, von dem weniger als drei Dutzend gebaut wurden. Er hatte ihn aus dem Rennstall von Stirling Moss gekauft und nach einer Saison wieder verkauft. Zwei Jahrzehnte später hätte er einige Millionen Euro mit dem Auto verdienen können. Vielleicht ging es ihm mit dem GTO wie mit seinem Beruf als Mediziner: In seinen späten Jahren, als seine Freunde Medizinalräte wurden, bedauerte er angeblich, dass aus ihm nur ein Komiker geworden war.
Merkwürdig, denke ich mir: Philipp, der mir als Filmschauspieler, Autorennfahrer und Ferraribesitzer ein Begriff war, starb ausgerechnet an jenem Tag, an dem am Parkring diese seltsame Metamorphose stattgefunden hatte: Dass sich ein Autogeschäft, in dem auch Ferrari verkauft werden, in eine Verkaufsstelle für ein Filmfestival verwandelt hat.
Seltsam berührt mich im Zusammenhang Rindt/ Philipp auch, dass die im Uhrzeigersinn nächstliegenden Autogeschäfte am Parkring ausgerechnet diese beiden Marken führen: Ferrari. Und Lotus. Seltsam nicht zuletzt auch, dass sich diese beiden Autogeschäfte in jenem Gebäudeblock befinden, in dem auch das größte Kino der Wiener Innenstadt situiert ist, das Gartenbaukino.
Am Abend bringt der ORF den letzten Film von Stanley Kubrick: „Eyes wide shut“, entstanden nach der Romanvorlage „Die Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler. Ein Buch von Ovid über die Liebeskunst* spielt dabei eine wichtige Rolle. Bemerkenswert? In der Millionenshow wurde auch nach Ovids Buch über die Liebeskunst* gefragt.
Zufall? Oder bewundernswerte Koordination des ORF?
PS: Ich weiß nur leider in beiden Fällen nicht, ob es sich um die „Amores“ oder „Heroides“ handelt, vermute ersteres.
Sonntag, 5.10.2003
Titanic, Swimming Pool,
Wassereinbrüche
Als ich mir vor einigen Jahren den Film „Titanic“ von James Cameron im Kino ansah, musste ich – was ich schon bei vielen Kinobesuchen zuvor befürchtet hatte, aber immer vermeiden konnte - während des Filmes des Saal verlassen, um die Toilette aufzusuchen. Das viele Wasser auf der Leinwand hatte zu sehr auf meine Blase gedrückt. Den notwendig gewordenen Gang zur Toilette hätte ich mir auch durch die Überlänge des Filmes erklären können. Dass ich an diesem Tag vergessen hatte, den Wasserhahn im Badezimmer zuzudrehen, nicht. Auch wenn auf- und abgeklärte Zeitgenossen auch hier – wie immer – den schlichten und lapidaren Begriff „Zufall“ bemühen: Mir erschien es merkwürdig. Ich habe mein Badezimmer in rund 15 Jahren nur einmal durch Vergesslichkeit geflutet.
Nun sah ich an einem Samstagabend in einem Kino in der Wollzeile den Film „Swimming Pool“ (den nicht gesehen zu haben kein großer Verlust gewesen wäre). Am nächsten Tag bemerkte ich im Stiegenhaus des Hauses in der Josefstadt, in dem ich seit siebzehn Jahren wohne, große Wasserlachen. Und zwar in jedem Stockwerk, vom zweiten Stock bis hinunter ins Erdgeschoss. Auch dies ist, so wie damals mein unbezwingbarer Harndrang während des überlangen „Titanic“-Films, kausal erklärbar: Auf das Haus werden im Moment zwei Stockwerke aufgesetzt, das Dach war an diesem Tag offen und es hatte in der Nacht stark geregnet. Und aufgeklärte Menschen würden nichts für abstruser halten, als zwischen dem Besuch des Filmes „Swimming Pool“ und den Wasserlachen am nächsten Tag irgendeine Verbindung herzustellen. Ich selbst finde diese „isolierende“ Sichtweise sehr beruhigend. Zumeist gelingt sie mir auch sehr gut. Irritierend fand ich nur, was ausgerechnet an diesem Tag in der Sonntagsbeilage der auflagenstärksten Zeitung über die „Titanic“ berichtet wurde, nämlich, unter anderem, dass sie den ersten „Bord-Swimming-Pool“ hatte.
Montag, 6.10.2003
Der Dreizack des
Poseidon
In einem Artikel in der gleichen Zeitung wird von zwei Verkehrsunfällen berichtet. Zufall: In beide Unfälle waren Sportwagen der exklusiven italienischen Marke Maserati verwickelt.
Jeder vernünftige Mensch würde an diesem Punkt „aha“ sagen. Und sich keine Gedanken machen, wie viele Maseratis auf Österreichs Straßen umherfahren und wie hoch die statistische Unfallrate ist. Nur Menschen, die am Vortag synchronistische Zusammenhänge zwischen überfluteten Badezimmern, Wasserlachen und der Katastrophe der Titanic hergestellt haben, fällt auf, dass das Markenzeichen von Maserati der Dreizack des Poseidon ist. Und dass das Maserati-Geschäft am Parkring auf das Ferrari und das Lotus Geschäft folgt.
Dienstag, 7.10.2003
Die Kapazität für
Borderline-Störungen & der Präsident der Akademie der
Wissenschaften
Ich hätte gerne von Otto F. Kernberg - weltweit die Kapazität für Borderline-Störungen – gehört, was er vom Phänomen Synchronizität hält. Und ging deshalb am Abend in den Kleinen Festsaal der Universität. Ort und Datum hatte ich auf der Einladung „Wiener Vorlesungen“ gelesen und in meinen Filofax geschrieben. Es war mir dabei allerdings, wie ich zu spät bemerken sollte, ein Irrtum unterlaufen.
Schon beim Eingang zum Festsaal kam mir einiges merkwürdig vor. Da wurde ein Buffet aufgebaut. Drinnen erblickte ich nicht das übliche gutbürgerliche Publikum. Sondern eine überraschende Mischung aus seltsam steif agierenden Alt- und unsorgfältig gekleideten Jungakademikern.
Nein, das war nicht der Vortrag von Otto F. Kernberg, auch keine Wiener Vorlesung. Sondern eine Podiumsdiskussion über die Zukunft der Institution Universität. Mit prominent besetztem Podium, unter anderem der Rektor der Uni Wien und der Präsident der Akademie der Wissenschaften. Warum dann das Buffet? Und das festliche Musikprogramm?
Nun, das ganze war eine Kombinationsveranstaltung. Zuerst die Diskussion. Dann eine Ehrung für den Präsidenten der Akademie der Wissenschaften, anlässlich seiner Emeritierung als Institutsvorstand.
Zufall: Ich hatte den Ort der Kernberg Vorlesung von der linken, statt der rechten Seite der Einladung abgeschrieben. Kernberg wäre im Festsaal des Alten Rathauses zu hören gewesen.
PS: Kernberg hielt übrigens, wie ich später erfuhr, an diesem Abend die Vorlesung aus mir jetzt nicht bekannten Gründen nicht.
Donnerstag, 9.10.2003
Die Schatten der
Vergangenheit
Bin „wieder“ bei einer Wiener Vorlesung. Diesmal am richtigen Ort, nämlich im Festsaal des Alten Rathauses. Und auch die Veranstaltung, findet statt: Moderator Wolfgang Schmale, Vortragender Moshe Zimmermann, Buchautor Max Sebastián Hering Torres und die Direktorin der Rassismusbeobachtungsstelle, Beate Winkler. Alle vier sind geistig und körperlich anwesend.
Es wird, ausgerechnet unter dem lebensgroßen Porträt des Wiener Bürgermeisters Lueger, wie Hering Torres feststellt, über das Thema Rassismus diskutiert. Es lohnt sich, die Ohren zu spitzen. Dafür sorgt auch Timothy Garton Ash, der zwar nicht am Podium sitzt. Aber zum geeigneten Zeitpunkt, mit gebotener Höflichkeit und mit Gewinn laut mitdenkt.
Zufall: Ich setze mich neben eine Dame, die ein scheinbar eben gekauftes Buch aus der Tasche nimmt. Eine der beiden neu erschienenen Biographien von Adorno. Sie liest, packt das Buch wieder weg. Kurz danach kommt ein Bekannter, Dr. F.. Er setzt sich neben mich.
Nach der Diskussion erzähle ich Dr.
F. von dem Irrtum, den ich am Dienstag beging: Dass ich statt in den Festsaal
des Alten Rathauses in den Kleinen Festsaal der Universität gegangen war. Das
erinnert Dr. F. an Adorno. Er habe, berichtet er nach diesem Stichwort, vor mehr
als drei Jahrzehnten einen Vortrag von Adorno besucht. Und der hatte im Kleinen
Festsaal der Universität stattgefunden.
Samstag, 11.10.2003
Der Slogan der
Versicherung
Auf dem Weg zur Urania gehe ich über den Fleischmarkt. Billy Wilder hat hier einst gewohnt.
Ich denke darüber nach, wie bezeichnend und befremdend es ist: Dass ausgerechnet an einem Ort diesen Namens eine einschlägige Klinik ist. Ich frage mich: Wenn wir das unkommentiert lassen – warum glauben wird, dass wir gegen „Arbeit macht frei“ opponiert hätten?
Dann biege ich links in die Postgasse ein. Im Gegensatz zum Fleischmarkt, wo Schaufenster, Dekorationen, Leuchtreklamen beinahe jedes Haus im Erdgeschoss völlig zupflastern, ist die Postgasse völlig leer. Nichts, was geeignet wäre, Stoff für einen Zufall zu werden. Nichts, was einen sinnvollen Gedanken evozieren könnte. Oder?
Auf dem Dach eines Gebäudes, jenseits des Donaukanals, ist etwas zu lesen. Sechs leuchtend blaue Buchstaben. Mir fällt der Slogan dieser Versicherung ein: „Vor mir das ganze Leben“
Mittwoch, 15.10.2003
Johannes Paul II und Kjetil
Andre Aamodt: Zwei Minuten und zwei Medaillen Differenz
25-jähriges Papstjubiläum. Ein Ereignis, das überall beschrieben und bebildert wird. Besonders prominent, natürlich, das Attentat, am 13.5.81. Der Papst selbst hat es als Vorsehung bezeichnet, weil am 13.5.1917 die drei Kinder in Fatima ihre erste Vision hatten. Er reiste deshalb genau ein Jahr später nach Fatima. Ließ die Kugeln in die Marienkorne einsetzen. Bezog einen Teil der Prophezeiung von Fatima auf sich. Diese Geschichte war u.a. Teil der Dokumentation von Guido Knopp, die am 14.10. vom ORF in "Kreuz und Quer" gezeigt wurde.
Merkwürdiges Detail: In der Dokumentation von Knopp wird die Uhrzeit des Papst Attentats mit 17 Uhr 17 angegeben. Im Mittagsjournal vom 15.10. mit 17 Uhr 19. Zwei Minuten Differenz, die aus synchronistischer Perspektive einen entscheidenden Unterschied machen:
Zufällig korrespondiert die Uhrzeit 17 Uhr 19 nämlich nicht nur passabel mit der Jahreszahl der Marienerscheinung in Fatima (1917), sondern auch sehr gut mit einer Zeitungsmeldung an diesem Tag:
Ein Einbrecher hat Kjetil Andre Aamodt 17 seiner 19 Medaillen gestohlen (W. Winheim, Kurier, 15.10.03, S 29).
Und zufällig entspricht der Unterschied der beiden Uhrzeiten des Attentats (17.17 und 17.19) auch der Anzahl der Aamodt nach dem Diebstahl verbleibenden Medaillen: Zwei Minuten und zwei Medaillen Differenz.
Donnerstag, 16.10.2003
China im Weltall, die USA am
Boden
Am 16.10.2003 steht in vermutlich allen Zeitungen der Welt, dass die Chinesen ihren ersten bemannten Raumflug erfolgreich gestartet haben. Es steht wohl auch die Uhrzeit des Starts dabei: Genau um 9.00 Ortszeit hob am 15.10. die Trägerrakete ab.
Über die tragische Ironie an der Geschichte stand in den Zeitungen nichts: Bei den Amerikanern, die Ihren ersten Raumfahrer schon vor mehr als vier Jahrzehnten ins All geschickt haben, die gegen die Russen den Wettlauf zum Mond gewonnen haben, gibt es seit der Katastrophe am 1. Februar dieses Jahres keine bemannte Raumfahrt mehr. An diesem Tag war die Columbia bei der Rückkehr zur Erde in rund 60 Kilometern Höhe auseinandergebrochen. Und zwar genau um 9.00 Ortszeit.
PS: Auch am 15.10. sind die Nachrichten aus den USA schlecht: In New York verunglückt eine Fähre schwer.
Freitag, 17.10.2003
Mortons Ewigkeitsgasse,
das 25 jährige Jubiläum des Kaisers und das 25 jährige Jubiläum des
Papstes
Eine liebe Freundin hatte mir diese Woche, als ich sie vom Flughafen abholte, ein Buch gegeben. Und zwar eines von Frederic Morton, „Ewigkeitsgasse“. Angesichts der Tatsache, dass ich bereits vor rund 13 Jahren wegen eines Artikels im Standard auf Frederik Morton aufmerksam wurde, ist es erstaunlich, dass ich bis jetzt noch kein Buch von Morton gelesen habe. Und der folgende Zufall ist auch erstaunlich:
Dass ich das Buch just in der Woche zu lesen beginne, in der der Papst sein 25. Jubiläum feiert. Warum das ein Zufall ist? Weil in dem Morton Buch das 25. Regierungsjubiläum von Kaiser Franz Joseph eine große Rolle spielt. Die Gattin des Protagonisten stickt deswegen die ornamental verschlungene Zahl „25“ in das Kleid einer Fürstin.
Samstag, 18.10.2003
Drei merkwürdige Fehler in der
autorevue
In der am 17.Oktober erschienenen autorevue (11/2003) sind auf Seite 109 drei merkwürdige Fehler zu finden:
- Im schönen Nachruf auf Gunther Philipp wird behauptet, dass für ihn der „letzte Vorhang“ am 5. Oktober fiel. Der ORF brachte den Nachruf schon am 3. Oktober, daher nehme ich an, dass sich die autorevue irrt.
-
Am 5. Oktober fand in Estoril ein FIA-GT Lauf statt. Der
Wiener Philipp Peter (dessen Vater Peter Peter wohl mit Gunther Philipp Rennen
gefahren war) siegte. Mit einem Ferrari 575 GTC. So weit, so korrekt. Die Zweit-
und Drittplazierten Fahrzeuge waren aber keine Ferrari 550 „Modena“. Sondern Ferrari 550
„Maranello“.
Bemerkenswerte Irrtümer? Das Datum des Rennens in Estoril koinzidiert jedenfalls mit dem falschen Todesdatum von Gunther Philipp. Die fehlerhaft genannten Fahrzeuge sind Ferraris. Und, ja: Schumacher ist zum 6. mal Weltmeister...
Zwei
Ziehharmonikaspieler
Viennale im Stadtkino: „Il mare e la torta“ von Edgar Honetschläger ist, soweit ich mich erinnern kann, der erste Kinofilm – und ich hab viele gesehen – bei dem ich vor der Vorstellung einen Sänger und einen Ziehharmonikaspieler auftreten sah. Um eine Melodie aus dem Film zu spielen.
Zum Film selbst. Großartige Bilder. Am besten bleibt wohl der Cellospieler am Ätna in Erinnerung, wobei diese visuell und akustisch zutiefst beeindruckende Szene noch mit einem Text von Friedrich dem Zweiten unterlegt ist, der verstörender als der Literaturjahresoutput des deutschen Sprachraumes wirkt.
Zufall: So selten wie im Kino, ist auch der Auftritt eines Ziehharmonikaspielers vor dem Wiener Rathaus. Und am nächsten Tag sollte dort ein Auftritt von Stephan Eberharter, Schiweltcupsieger und Ziehharmonikaspieler, stattfinden.
Anmerkung: Eberharter, „der 20 Jahre lang überhaupt nie Fieber hatte“, hat dieses Wien-Wochenende übrigens nicht vergessen. Er habe sich „am 17. Oktober in Wien ang´steckt und wochenlang nicht davon erfangen“ (W. Winheim, Kurier, 28.11.03, S 29). Wer an diesem Tag um 23.15 noch nicht geschlafen, sondern „Bei Stöckl“ gesehen hat, wird verstehen, warum ich diese Zeile so abschließe: J
Montag, 20.10.2003
Hofmannsthal &
Satchmo
Wiener Vorlesung zum Thema „Wien wie seine Dichter es sahen und sehen“: Ruth Klüger spannt Ihren Bogen weit und führt zielsicher von der Renaissance in die Gegenwart: Von Shakespeare (der natürlich kein Wiener war, aber ein mit Bedacht gewählter Anfangspunkt) über Abraham a Sancta Clara, Nestroy, Stifter, Schnitzler bis hin zu Thomas Bernhard und Ilse Aichinger. Das chronologische Ende Ihres eleganten Vortrages bildet eine Referenz an den Rosenkavalier von Hofmannsthal.
Kleiner Zufall: Am Samstag Abend waren wir nach dem Kino („Il mare e la torta“) im „Satchmo“. Und vis-a-vis des „Satchmo“ steht das Geburtshaus von Hugo von Hofmannsthal.
Kurt Palm und James
Joyce
Nach der Vorlesung gehe ich die Westbahnstrasse hinunter. Ich sehe dabei zufällig den wie immer grimmig dreinschauenden Kurt Palm.
Ich gehe dann hinein in die Innenstadt. Dort begegnen mir meine Bekannten Rosi & Gerald. Zusammen sind mir die beiden noch nie zufällig begegnet. Trotzdem bleibt die Konversation, wegen des Geschäftsschlusses, kurz.
PS: Im Rückblick machen die beiden Begegnungen synchronistischen Sinn: Im Dezember-Programmheft des Filmmuseums, bei dessen Produktion Rosi mitwirkt, gibt es Filme zum Thema James Joyce. Und die werden nicht unkommentiert gezeigt. Sondern „Mit einer Einführung von Kurt Palm“.
Dienstag, 21.10.2003
David Helfgott im ORF, in Wien
und in Graz
Zufall oder bewundernswert perfekte Koordination des ORF? Ich vermute letzteres:
- Am frühen Morgen wird der Spielfilm „Shine – Der Weg zum Licht“ gezeigt. Der Film wurde nach einer wahren Begebenheit gedreht: Der berühmte australische Pianist David Helfgott war nach einem geistigen Zusammenbruch jahrelang in der Nervenheilanstalt. Bevor er wieder im bürgerlichen Leben und auf den Bühnen der Konzertsäale Fuß fassen konnte.
- Im Mittagsjournal wird berichtet, dass David Helfgott derzeit in Österreich gastiert und in Wien und Graz Konzerte gibt.
Mittwoch, 22.10.2003
Die Wiener Zeitung ,
Frederik Morton und die Zahl 61
Ausgerechnet in der ersten Zeile auf Seite 61 taucht „...ein Exemplar der Wiener Zeitung“ auf.
Und es gibt keine andere Seite, keine andere Zeile in dem Buch „Ewigkeitsgasse“ von Frederik Morton, in dem der plötzliche Auftritt der Wiener Zeitung eindrücklicher auf mich hätte wirken können.
Warum? Wegen eines dreizehn Jahre zurückliegende Artikels über Frederik Morton im Standard-Album, dessentwegen ich zum Standard pilgerte. Ich bot Michael Freund, der den Artikel über Morton verfasst hatte, folgende Geschichte an: Die Koinzidenz, dass an dem Wochenende, an dem in Estoril ein Formel-1 GP in der 61. Runde abgebrochen wurde, die Künstlerin Hanne Darboven (deren Zahlensystem bis zur Zahl 61 reicht) in Wien war (und ich in der ihr gewidmeten Vernissage und dem ihr gewidmeten Konzert).
Der umsichtige Leiter des Albums, Michael Freund, der recht schnell die Qualität meines Textes richtig taxierte, gab mir daraufhin dreizehn Jahre lang, jedes Mal wenn er mich sah, und ich ihm einen Essay über Synchronizität anbot, die freundliche aber bestimmte Antwort „nein, leider“.
Schließlich aber – nachdem dann der Euro den Schilling abgelöst hatte – den freundlichen Tipp, es beim EXTRA der Wiener Zeitung zu versuchen. Wo dann, quasi mit dreizehn Jahren Verspätung, mein erster bezahlter Text über „Synchronizität im (Motor und Schi-) Sport“ erschien. Für den ich, so viel sei verraten, genau die richtige Anzahl Cent Zeilenhonorar bekam. Und unbezahlbare Ezzes von Gerald Schmickl, der den überbordenden Text wunderbar editiert hat. Tausend Dank!
PS1: Warum ich diese Geschichte berichte? Ich hoffe, es findet sich jemand, der mit dieser Geschichte Josef Broukal tröstet (der kürzlich im Rathaus Nobelpreisträger Imre Kertezs coram publico mit „Frederik Morton“ ansprach).
PS2: Apropos Estoril. Das hatten wir in dieser Ausgabe der Kolumne schon einmal. Findet übrigens irgend jemand interessant, dass sich dort das größte Casino Europas befindet?
Leolucca Orlando im
ORF:
Zufall oder bewundernswert perfekte Koordination des ORF?
- Am frühen Nachmittag wird in Ö1 der ehemalige Bürgermeister von Palermo, Leolucca Orlando, interviewt.
-
Am späten Nachmittag, in den „Spielräumen“, ist
Regisseur Edgar Honetschläger bei Mirjam Jessa zu Gast. In dessen Film „Il mare e la torta“ Leolucca
Orlando auftritt.
Papst &
Aamodt
Zuletzt waren der Papst und Aamodt am 15.10.2003 synchronistisch zusammengekommen. In den 15 Uhr Nachrichten auf Ö1 kommen der Papst und Aamodt erneut zusammen. Leider sind es wieder unangenehme Nachrichten, die beide betreffen:
- Der Papst konnte bei einer Messe zum ersten mal so gut wie gar nicht mehr sprechen. Jemand musste die Messe an seiner Stelle lesen.
- Aamodt verunfallte beim Training auf dem Rettenbachferner folgenschwer: Er verletzt sich und fällt für einige Zeit aus.
Ruß und Schnee ( und ein Vortrag zum Thema
Zufall )
Am Nachmittag: Ruß in meinem Badezimmer. Weshalb? An diesem Tag wird wegen der neuen zwei Stockwerke der Kamin abgetragen. Den ganzen Tag über poltern Mauerstücke in den Kamin. Und der Anschluss ist nicht dicht...
Am Abend: Es schneit in Wien. Es ist der früheste Schneefall in Wien seit über 60 Jahren. Weshalb?
PS: Ich bemerke den
Schneefall, als ich aus der Urania komme. Hatte dort den Vortrag „Sind Zufälle
Zufall?“ angehört, auf den ich zuletzt hingewiesen hatte. Elfrida Müller-Kainz
meint: Zufälle sind Zeichen. Ich auch. Leider fand ich Ihre Beispiele weder sehr
überzeugend noch – mit einer Ausnahme, der seit Jahren bekannten Kennedy/
Lincoln Geschichte – besonders interessant. Und sachdienliche Fragen vom
fachkundigen Teil des Publikums wurden mit wenig Sorgfalt behandelt. Das
aufliegende PR-Material überzeugte mich indes, dass die selbstbewusst agierende
Dame das Handwerk des Marketings sehr gut beherrscht.
Sonntag, 26.10.2003
Zwei Pferdeflüsterer im
ORF
Zufall oder bewundernswert perfekte Koordination des ORF?
- Am Vormittag wird im Ö1-Reisemagazin „Ambiente“ über einen „Pferdeflüsterer“ berichtet.
- Am Abend wird im Fernsehen anlässlich des Nationalfeiertages die Rede des Bundespräsidenten ausgestrahlt.
Montag, 27.10.2003
Elfriede Gerstl, die
Kleeblattgasse und die Schwertgasse
Wien. Neue Bibliothek am Gürtel. Lesung Elfriede Gerstl. Die ist kurz, gut und heiter. Anfangs schreibe ich ein wenig mit, ich lasse es aber bald sein. Elfriede Gerstl berichtet von vielen Möchtegernkünstlern und von noch mehr Wiener Gassen. Dass die Kleeblattgasse dabei ist: Nun, das ist nett. Ein netter, kleiner Zufall. Nicht weniger. Nicht mehr. Aufregender finde die Erwähnung der Schwertgasse. Da hab ich nämlich früher mal selbst gewohnt...
Freitag, 31.10.2003
Rote Schuhe & The Red
Shoes
Wien. Sehe mir den Flügel an, der neuerdings über der Albertina schwebt. Und dann gehe ich erstmals rein ins neugestaltete Foyer des Filmmuseums. Und erlebe eine Überraschung: Die Powell/ Pressburger-Filme laufen schon. Ich hatte gedacht, sie beginnen erst im November. Nein, grade jetzt – um 20.45 – läuft drinnen „The Red Shoes“. Vielleicht der berühmteste englische Film. Da bin ich grade zurecht gekommen. Mit meinen roten Schuhen...
Der Bleistift von der
Versicherung
Wien. Nach meinem Besuch im Filmmuseum gehe ich nach Hause. Sehe fern. ZIB 2. Und dann einen Hollywoodfilm:
„Nürnberg – Im Namen der Menschlichkeit“, die weitgehend an die Wahrheit angelehnte Geschichte des Tribunals über die Kriegsverbrecher des Nazi-Regimes. Während ich den Film ansehe, erledige ich auch meine Post. Dabei ist auch ein Brief von einer Versicherung, abgesendet am 24.10. Dem liegt ein Bleistift bei. Ein Bleistift per Post, das ist selten.
Ungefähr zu der Zeit, als ich ich den Bleistift aus dem Brief hole, und das bergende Poststück entsorgen will, laufen, als Film im Film, jene originalen schwarz-weiss Dokumentarfilme, die die Amerikaner in den Konzentrationslagern gedreht hatten. Wie immer, wenn ich das sehe, denke ich mir mit Grauen, dass auf diesen Bildern Menschen abgebildet sind, die vor gar nicht so langer Zeit lebten, liebten und ein Schicksal hatten. Und die, nachdem Sie damals Ihrer Würde, Ihrer Freiheit und Ihres Lebens beraubt wurden, jetzt, gefangengehalten in ihrer Ohnmacht und ihrem Schmerz auf Zelluloid, in einem Hollywoodfilm auftreten. Sichtbare Opfer nun, zumindest das, immerhin.
Mir fällt dazu eine Geschichte von Billy Wilder ein. In einem Interview (im Playboy im Jahr 1978) hatte er dem Reporter erzählt, dass er einst als amerikanischer Soldat die Vorführungen ebensolcher KZ-Filme in Deutschland überwacht hatte. Die Deutschen mussten diesen Film ansehen. Und einen Fragebogen ausfüllen – ob sie glauben würden, was auf den Bildern zu sehen sei. Nach dem Vorführungen, so Wilder, habe niemand den Fragebogen ausgefüllt. Aber alle hatten den Bleistift mitgenommen.
Merkwürdig, denke ich, und starre auf den Bleistift, den die Versicherung geschickt hatte. Merkwürdig, dass ich diesen Bleistift gerade heute bekommen habe...
P.J., Wien 19.12.2003
(korrigierte Version – im Oktober-Text, der am 30.11.2003 ins Netz gestellt
wurde, war an einer Stelle von einem Rohrbruch die Rede, der an dem Tag
stattgefunden hatte, an dem ich den Film „Titanic“ sah. Errare humanum est: An
diesem Tag (18.4.98) hatte ich bloß vergessen, des Wasserhahn zu schließen...den
Rohrbruch gabs dann am 11.6.98)
PS: Die November Ausgabe von
„bears wisdom“ erscheint – so Gott will, was ich hoffe – spätestens am
21.12.