Der Name des Sohnes. Der Name des Vaters.

 

Womit beginnen? Was berichten? Synchronistische Ereignisse – landläufig Zufälle genannt – gab es im August mehr als genug. Erzählt werden nur zwei. Warum so wenige? Warum gerade diese beiden? Vielleicht beantwortet die Lektüre der beiden Geschichten all diese Fragen.

Zur ersten Geschichte: Es war eigentlich mein Vorsatz, für die Augustausgabe auf das Thema Automobil zu verzichten. Allein, ein Zufallsereignis zu Beginn des Monats hat mich tief genug beeindruckt, um diesen Vorsatz zu verwerfen. Eine Erinnerung an eine 18 Jahre zurückliegende Italienreise wurde wachgerufen. Und um korrekt zu sein: Auch die am Zufall beteiligte Dame hat mich beeindruckt.

Ende August begab sich dann die zweite Zufallsgeschichte, die auf den ersten Blick mit der ersten gar nichts gemeinsam hat. Auf den zweiten Blick bemerkt man aber, dass einige Protagonisten aus der ersten Geschichte auch in der zweiten Geschichte auftreten.

Schließlich ein Epilog, der schon im September spielt. Der dieser Geschichte Ihren Titel gibt. Und da scheint es plötzlich so, dass die beiden vorigen Geschichten irgendwie zusammengehören. Und allesamt Kapiteln einer ebenso merkwürdigen wie unerfüllten jahrzehntelangen Obsession sind.

 

2. August 2002, Wien:

Schauplatz 1: Vor einem Autosalon am Parkring. Früher Abend.

Zwei Herren. Der erste Herr, leger gekleidet, steht vor einem am Gehsteig geparkten roten, etwas angejahrten Sportwagen. Der zweite Herr, im grauen Anzug, tritt hinzu.

Zweiter Herr: Ahhh, wenn ham ma denn da?

Erster Herr: Servus. Das ist ein Ferrari. Denn muss i mir jetzt unbedingt anschaun!

Der erste Herr erläutert dem zweiten Herrn, den das Auto überhaupt nicht interessiert, alles nur erdenklich wissenswerte über den roten Ferrari, wobei er weit ausholt, und auch nicht vergisst zu erwähnen, dass die kleinen Achtzylinder-Ferraris ursprünglich gar nicht Ferrari heißen durften, sondern Dino genannt wurden.

Zweiter Herr, nachdem er den ersten Herrn eine Weile lächelnd betrachtet hat, ohne ihm zuzuhören, mit einem breiten Grinsen im Gesicht: Gemma jetzt endlich zum Heurigen?

Erster Herr: Natürlich. Aber wohin?

Zweiter Herr: Zuerst holen wir die D. ab, dann fahrn wir zum S. am Kahlenberg.

Erster Herr: Gut. Ihr zeigts mir den Weg. Ich war dort noch nie.

Schauplatz 2: Der Heurige S. am Kahlenberg. Dämmerung.

Die beiden Herren, nun in Begleitung einer Dame, die die Freundin des ersten Herrn ist, nehmen an einem Tisch im Freien Platz. Der erste Herr betrachtet eine Weile mit großem Interesse die vorübergehenden Damen und bleibt dann mit seinem Blick an einem Tisch hängen, an dem eine kleine Gruppe sympathischer jüngerer Leute sitzt.

Erster Herr: Sie schaut genau so aus, wie meine erste Freundin.

Dame: Wer?

Erster Herr: Die mit den langen dunklen Haaren, da hinter dir. Aber dreh dich bitte nicht um.

Dame: Und, wann hast Du die gekannt?

Erster Herr: Vor 18 Jahren.

Zweiter Herr: War das die R?

Erster Herr: Ja. Und wissts Ihr, was komisch ist. Die R. hat vier Schwestern. Alle sehr schön. Und eine von den Schwestern, schaut der zweiten, die da am Tisch von der Doppelgängerin sitzt, ganz ähnlich. Ich hab in die ganzen letzten 18 Jahre keine gsehn, die der R so ähnlich schaut. Und a niemand, der Ihrer Schwester so ähnlich schaut, wie die zweite auf dem Tisch.

Erster Herr wird schwermütig und schweigsam. Der zweite Herr und die Dame versuchen ihn vergeblich aufzumuntern. Nach einer Weile bricht der erste Herr sein Schweigen.

Erster Herr: Und das ist auch noch ein Zufall (Zum ersten Herrn). Du erinnerst dich doch an das Auto, das wir heute gesehen haben, den roten Ferrari am Parkring?

Zweiter Herr: Ja, was ist damit?

Erster Herr: Ich bin vor 18 Jahren mit der R mit dem Auto 3 Wochen durch Italien gfahrn. Florenz, Rom, Neapel, Rom, Siena, Modena. Irgendwo in einem kleinen Bergdorf ist ein weißer Ferrari am Straßenrand gstandn. Ich hab angehalten und hab die R mit dem Auto fotografiert. Es war auf der ganzen Reise das einzige mal, dass ich die R dazu überreden hab können, vor einem fremden Auto zu possieren. Es war ein 308 GT4, genau so einer, wie der, den wir heut gesehen haben. Das Auto ist so selten, dass i in den letzten Jahren sicher keinen einzigen auf der Straße gsehn hab. Und eine Frau, die mich so an die R erinnert, hab ich, glaub ich, überhaupt noch nie gsehn.

Dame, zweiter Herr: Hmmm. (Ohne Begeisterung). Das ist wirklich ein Zufall.

(Vorhang. Und ein Nachtrag)

Zur erwähnten Italienreise. Der Herr, das war ich. Das Auto war ein Peugeot 204, bordeauxrot, orange-beige Polsterung, mit Schiebedach. Am Tag fuhren wir damit. In der Nacht schliefen wir darin. Es war heiß in diesem Sommer. Und schön.

27. August 2002, Wien:

Schauplatz 1: In der Nähe eines Eissalons auf der Tuchlauben. Früher Abend.

Ein Herr geht zum Eissalon auf der Tuchlauben und kauft ein Eisstanitzl. Am Eise schleckend schlendert er langsam Richtung Graben. Sein Handy läutet. In einer Hand das Eisstanitzl wühlt er mit der anderen verzweifelt in seiner Laptoptasche. Vergeblich. Als er den Zipp endlich offen hat, verstummt das Handy. Der Herr flucht leise. Als er die Anruferin am Display sieht, beruhigt er sich wieder. Wegen des herrschenden Straßenlärms geht er zum rückrufen hinein in die kleine und stille Seitengasse, an der er gerade vorbeigekommen war. Dann ruft er zurück.

Dame am Telefon: Hallooo! Hast Du mich grad eben gehört?

Herr am Telefon: Ja. Aber ich bin zu spät gekommen.

Dame am Telefon: Schön, dass Du mich gleich anrufst. Wo bist Du denn?

Herr am Telefon: In der Stadt. Jetzt bin ich grad in eine Seitengasse gegangen, damit ich dich besser hören kann.

Dame: Duuuu, ich muss Dir was erzählen.

Herr: Was denn?

Dame: Ich hab iiiihn endlich kennengelernt. Morgen bin ich zum Essen eingeladen. Willst mehr wissen?

Herr: Natürlich. Wie heißt er denn zum Beispiel?

Dame: Glück heißt er.

Herr (lacht): Hahaha. Das ist wirklich nicht schlecht. Du erzählst mir, dass du einen Herrn Glück kennengelernt hast. Und ich steh grad in der Kleeblattgasse.

(Vorhang)

Schauplatz 2: Die renovierungsbedürftige Wohnung des Herrn in der Josefstadt. Späterer Abend.

Der Herr mit dem Eisstanitzl von vorhin räumt seine Wohnung um . Am Wochenende kommt der Maler. Der Herr nimmt die Bücher aus den Bücherregalen, trägt sie ins Schlafzimmer. Dann trägt er die Bücherregale ins Schlafzimmer und stellt die Bücher wieder hinein. Der Herr wirft nie etwas weg. Das Schlafzimmer ist deshalb sehr bald sehr voll. Der Herr wird missmutig deswegen. Sein Missmut steigt, weil er am nächsten Tag eine Dienstreise machen muss. Und am übernächsten Tag wieder in Wien arbeiten muss. Der Herr stöhnt bei diesem Gedanken. Er weiß nicht, wo er dann schlafen wird. In diesem Schlafzimmer jedenfalls nicht. Die Kleidung für die Dienstreise und den darauffolgenden Tag rettet der Herr noch rechtzeitig aus dem vollen Zimmer. Der Weg zum Laptop ist irgendwann ganz versperrt. Jetzt läutet es.

Ein zweiter Herr erscheint. Er trägt einen grauen Anzug. Es ist der Herr von vorhin vom Parkring, der sich nicht für Ferraris interessiert (Und der Herr mit dem Eisstanitzl ist natürlich der, der unlängst beim Heurigen sentimental wurde). Der Herr mit dem Anzug soll dem ersten Herrn helfen, die schweren Möbelstücke umzustellen.

Zweiter Herr: Na bumsti. Was muss ich machen?

Erster Herr: Eh net viel. Ich brauch dich nur für die großen Möbel. Am besten, Du ziehst dir zuerst einmal den Anzug aus und trinkst was. Bis i die kleinen Sachen weggräumt hab kannst die Zeitung lesen.

Zweiter Herr (zieht sich den Anzug aus, nimmt sich eine Zeitung und setzt sich): Wie geht’s? Gibt’s was neues?

Erster Herr: Heut hat mich die B. angrufen.

Zweiter Herr (der mit B. einmal nah befreundet war): Ahhhh! Gibt’s was neues bei ihr?

Erster Herr: Ja. Sie hat einen Herrn Glück kennengelernt.

Zweiter Herr: Wiiiirklich?

Erster Herr: Ja. Und stell dir vor. Wie sie mich angerufen hat, da bin grad am Eissalon Tuchlauben gewesen. Und zum telefonieren bin ich in die Kleeblattgasse gegangen. Und dann erzählt mir die B., dass sie einen Herrn Glück kennengelernt hat. Passt das nicht wunderbar zusammen?

Zweiter Herr: Wiiiiirklich? Auf der Tuchlauben warst heut ein Eis essen? Ich auch. Das ist ein Zufall! Ich war schon einen Monat nimmer dort und heut hab ich dort ein Eis gegessen....

Die schweren Möbel werden gemeinsam verrückt, wobei nur ganz wenige Dellen in die Türstöcke geschlagen werden. Danach wird der zweite Herr mit Dankesworten bedacht und entlassen. Der zweite Herr geht ab, eine Stunde vor Mitternacht. Der erste Herr ist noch immer beschäftigt, die Wohnung aufzuräumen. Er steigt auf einen Sessel und hebt eine dreißig Jahre alte riesige Monoblockstereoanlage vom Kasten runter. Obenauf, unsichtbar, liegt ein Regalbrett. Das fällt dem Herrn auf den Kopf und dann mit lautem Krachen – um Mitternacht – auf den Boden. Der Herr flucht laut. Und ärgert sich wieder, dass er nichts wegzuwerfen imstande ist. Aber wie denn auch: Die Stereoanlage hatten seine Eltern vor beinahe dreißig Jahren gekauft. Im Elektrogeschäft, das dem Firmpaten des Herrn gehört. Der wegen des Besitzes eines roten Jaguar E zum Firmpaten auserkoren wurde. Die Dienstreise am nächsten Tag würde den Herrn dorthin führen, wo der Bruder und mittlerweile auch der Sohn des Firmpaten – allesamt Besitzer von außergewöhnlichen Automobilen - immer Urlaub machen. Schon wieder ein Zufall. Und was für ein schmerzlicher. Das sind ungefähr die letzten Gedanken, die dem Herrn, der sich auch oft ein außergewöhnliches Automobil wünscht, noch durch den Kopf gehen.

(Vorhang)

 

 

 

Erste und zweite Septemberwoche 2002, Wien:

Schauplatz 1: Meine frisch ausgemalte Wohnung in der Josefstadt. Später Abend des 4. September.

Die Möbel sind alle noch nicht an Ihrem alten Platz. Das Schlafzimmer ist noch immer vollgerammelt. Immerhin: Eine Woche, nachdem ich den Laptop im hintersten Winkel des Schlafzimmers aus den Augen verlor, habe ich mich nun wieder zu ihm vorgearbeitet. Das e-mail Programm, normalerweise täglich aktiv, wird gestartet. Pling. Ein einzelne e-mail. Sie wurde am Nachmittag des 27.8.2002 gesendet. Sie wäre bereits vor einer Woche abrufbar gewesen. Merkwürdige Gleichzeitigkeit: Dieses e-mail. An dem Tag gesendet, als der Anruf von B. kam, die den Herrn Glück kennengelernt hatte. An dem Tag eingetroffen, als mir das Regalbrett auf den Kopf fiel, und sehr viel Ärger aber auch die Erinnerung an den roten Jaguar E auslöste. Aber warum werde ich mir den Erhalt dieses e-mails länger merken, als das anderer mails? Was ist das besondere an diesem e-mail? Weshalb wird es in diesem Kontext erwähnt? Wieso passt es in diese Geschichte? All diese Fragen lassen sich mit einer einfachen Antwort befriedigen: Weil derjenige, der mir das e-mail schrieb, einer der raren Sterblichen ist, der schon einen Ferrari Enzo fuhr.

Schauplatz 2: Vor einem Autosalon am Parkring. Früher Abend des 6. September.

Im Schauraum stehen drei rote Sportwagen: Zwei Jaguar E. Und der rote Ferrari 308 GT4. Die Karosserie und Farbe der E-Type Coupes sind scheinbar zwar absolut identisch (Serie I oder II), dennoch unterscheiden sie sich durch Details so völlig, als wären sie aus einer anderen Welt. Rechts ein Brite, rechtsgelenkt, helles Interieur. Er steht soweit vorne, dass die Proportionen der Silhouette vom hellen Licht erschlagen werden. Links hinten ein Kontinentaleuropäer, links gelenkt, dunkles Interieur. Im Halbschatten stehend kommen die wunderbaren Kurven über den dezenten Weißwandreifen sehr schön zur Geltung. Der merkwürdigste Unterschied: Der Engländer hat links und rechts Außenspiegel am Kotflügelansatz. Der Europäer hat überhaupt keine Außenspiegel.

Die Form des 308GT4 beschäftigt mich an diesem Abend nicht so sehr, obwohl bewundernswert ist, wie Bertone einen Viersitzer mit Mittelmotor derart kompakt und elegant bauen konnte. An diesem Abend beschäftigt mich die Erinnerung an jenen weißen 308GT4, vor dem ich R fotografiert habe.

Und der Name. Ist der 308GT4 eigentlich ein Ferrari? Oder doch ein Dino? So hieß der einzige Sohn von Enzo Ferrari. Nach diesem Dino Ferrari waren jedenfalls die Vorgänger des 308 GT4, die 206er und 246er benannt.

Merkwürdig: Die Vornamen von Sohn und Vater. Dino. Enzo. Just nach diesen wurden diese raren Exemplare der an sich schon sehr seltenen Ferraris benannt.

 

Wien, 12.09.2002